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Menschliches Leben sollte nicht instrumentalisiert werden

Interview mit Beatrix Rubin vom Institut für Angewandte Ethik und Medizinethik

Dr. Beatrix Rubin ist Stipendiatin am Institut für Angewandte Ethik und Medizinethik der Universität Basel. Die Biologin befasst sich mit den wissenschaftlichen und ethischen Grundlagen bei der Gewinnung und Anwendung von humanen Stammzellen.

In den USA wurde vor kurzem erstmalig ein menschlicher Klon erzeugt. Was genau haben die Wissenschaftler hier erreicht?

In dem von Ihnen erwähnten Fall handelt es sich um die therapeutische Klonierung. Menschliches Leben wurde de novo generiert, um für die Therapie immunologisch optimale Stammzellen gewinnen zu können. Das heisst, es wurde ein Embryo erzeugt, der die genetische Information des zu behandelnden Patienten enthält. In dem Versuch, der in den USA gemacht wurde, entwickelte sich der menschliche Embryo bis zum Sechs-Zell-Stadium. Es wurde damit nur ein sehr bescheidenes Zwischenergebnis auf dem Weg zur Erzeugung eines menschlichen Klons, der für die Stammzellentherapie verwendet werden könnte, publiziert.

Hat Sie die Nachricht überrascht?

Für mich ist es aus wissenschaftlicher Sicht nicht so überraschend, dass das Experiment geglückt ist. Embryonale Stammzellen bei der Maus sind beispielsweise seit 1981 bekannt. Methodisch ist mit Säugetierzellen schon viel Vorarbeit geleistet worden. Das Überraschende ist die Grenzüberschreitung, eben dass so ein Versuch mit menschlichen Zellen gemacht wurde.

Ist dieser Schritt aus Ihrer Sicht ethisch verantwortbar?

Ich lehne die therapeutische Form der Klonierung eines Menschen ab, weil menschliches Leben damit in einer für mich nicht akzeptablen Weise instrumentalisiert wird. Die noch sehr hypothetische Behandlung, so muss betont werden, eines Patienten mit Zellen, die nicht von seinem Körper abgestossen würden, rechtfertigt für mich nicht die Herstellung und anschliessende Zerstörung eines genetisch veränderten Embryos.

Sie sprechen einen Punkt an, auf den viele Organisationen, darunter die Schweizerische Akademie Medizinischer Wissenschaften (SAMW), ebenfalls eindringlich hinweisen, nämlich dass im Moment noch kein greifbarer medizinischer Nutzen zu erwarten ist. Was aber wäre, wenn?

Das ist eine sehr gute und schwierige Frage, die sich jede Gesellschaft angesichts der technologischen Entwicklung immer wieder stellen muss: Überschreiten wir einmal gesetzte Grenzen oder respektieren wir sie?
Besser als an Ihrer hypothetischen Frage kann man das Problem an der momentanen Situation beleuchten: Zu Zeit importieren wir embryonale Stammzellen aus anderen Ländern. Sind wir, was konsequent wäre, auch bereit unsere überzähligen Embryonen aus der in vitro-Befruchtung zu Forschungs- und Therapiezwecken zu verwenden, oder nicht? Dies muss jetzt bedacht und ehrlich diskutiert werden. Und weiter: Ist die einmal getroffene Abwägung noch gültig und irreversibel oder haben sich die Gewichte so verschoben, dass wir die Gesetzgebung verändern müssen, um unserer neuen Position gerecht zu werden? Es könnte zum Beispiel sinnvoll sein, für eine neue gesetzliche Regelung eine Art "Probezeit" festzulegen, nach der geprüft wird, ob sie den Entwicklungen gerecht wird oder neu überdacht werden muss. Dieses Modell schlägt die Ethikerin Prof. Stella Reiter-Theil vom Institut für Angewandte Ethik und Medizinethik der Universität Basel, an dem ich arbeite, vor.

Wurde es beim Thema Stammzellen versäumt, ethische Debatten zu führen, bevor die Forschung unumkehrbare Tatsachen schaffte? Das Schweizer Komitee zum Schutz der Menschenwürde hatte dies in einer Presseerklärung angeprangert. Oder anders gefragt: Wie vorausschauend können ethische Diskussionen sein?

Idealerweise müssten ethische Debatten alles schon vorweg nehmen können und zu allem eine moralische korrekte Lösung anbieten können. Am besten wäre es, wenn die ethische Diskussion vor der Forschung käme. Dies aber widerspricht der Tatsache, dass wissenschaftliche Entwicklungen nicht über weite Zeiträume absehbar sind. Die positiven und negativen Konsequenzen einer neuen Technologie machen sich erst nach und nach bemerkbar und können kaum vorhergesagt werden. Hätte man beispielsweise die in vitro-Fertilisation von vornherein unterbunden, würde es heute auch keine überzähligen Embryonen geben, über deren Verwendung man nun diskutiert.

Wird also die Diskussion immer den Tatsachen "hinterherhinken"?

Nein, grundsätzlich kann man das nicht sagen. Dennoch kann die Ethik der Forschung nur zuvor kommen, wenn aus moralischen Gründen bestimmte Projekte von vornherein abgelehnt und damit unterbunden werden. Ein Beispiel ist das reproduktive Klonen, das heute noch nicht durchführbar ist, dessen Entwicklung aber ein grosser Teil der Gesellschaft in der Schweiz, aber auch international, abzulehnen scheint. In diesem Falle hat die ethische Diskussion einen vorausschauenden Charakter.
In anderen Fällen kann man nur sagen: So zeitig wie möglich, aber nicht zu zeitig, da sonst die Gefahr besteht, dass auf Grund von Prognosen Abwägungen getroffen werden, die sich in Zukunft als nicht korrekt und damit nicht tragbar erweisen. Beispielsweise hat in der Diskussion über die Gewinnung und Verwendung von menschlichen embryonalen Stammzellen das Argument der Therapie schwerer, bislang unheilbarer Krankheiten ein grosses ethisches Gewicht. Wie gross der therapeutische Erfolg bei verschiedenen Erkrankungen sein wird, muss sich aber in der Zukunft erst weisen. Wenn Argumente auf Prognosen beruhen, ist es schwierig zu diskutieren. Einfacher ist es zu entscheiden, wenn die Fakten auf dem Tisch liegen. Dies ist eine Schwierigkeit, deren man sich bewusst sein muss, wenn man eine ethische Diskussion führt.

Beim therapeutischen Klonen wird das Erbgut eines Menschen in eine entkernte Eizelle gebracht. Der Präsident der Firma ACT (Advanced Cell Technology) Michael West rechtfertigte die Erzeugung eines menschlichen Klons mit dem Argument "Ich will nur kranken Menschen helfen." Wie gewichten Sie dieses Argument?

Aus seiner Sicht mag das Argument schlüssig sein, mich aber überzeugt es nicht. Sicher ist der Wert eines einzelnen Menschen und die Möglichkeit ihm durch eine neue Therapie zu helfen, sehr hoch einzuschätzen. Menschliches Leben zu schützen ist aber ebenfalls ein ethisch hochstehendes Ziel. Daher müssen hier die verschiedenen Argumente gegeneinander abgewogen werden und ich komme für mich zu dem Schluss, dass in diesem Fall diese Grenzüberschreitung ethisch nicht tragbar ist.

Wenn Sie sagen, dass menschliches Leben nicht instrumentalisiert werden sollte, stellt sich die Frage, wann menschliches Leben beginnt. Der Vatikan beispielsweise vertritt die Auffassung, dass der Embryo vom ersten Augenblick an ein menschliches Leben sei. Welche ethischen Standpunkte gibt es dazu?

Es gibt zwei Grundauffassungen, die des unbedingten Lebensschutzes und die des abgestuften Lebensschutzes, der Vatikan vertritt die erstere. Es gibt bei beiden Positionen verschiedene Auslegungen. Die Auffassung, dass das frühe menschliche Leben unantastbar sein soll, gründet sich unter anderem darauf, dass auf Grund der Potenzialität (in jedem Embryo ist ein Mensch angelegt), der Kontinuität (die Entwicklung vom Embryo zum Menschen erfolgt ohne Unterbrechung) und der Identität (der Embryo ist identisch mit dem Menschen, der sich aus ihm entwickelt) der Embryo dem Menschen gleich zu setzen ist. Demgegenüber gibt es die Auffassung, dass frühes menschliches Leben ein besonders schützenswertes Gut darstellt, dessen Wert aber gegenüber dem anderer hochstehender ethischer Ziele abgewogen werden darf. Auf dieser Auffassung gründet sich der abgestufte Lebensschutz, der auf Grund verschiedener Argumente spätere Grenzen als die der Befruchtung setzt. So hat man in der englischen Gesetzgebung zum Beispiel, als Grenze den Zeitpunkt der erfolgreichen Einnistung des Embryos in die Gebärmutter gewählt. Ein anderer Vorschlag basiert darauf die Entwicklung des zentralen Nervensystems als Grenze zu wählen. Es ist nicht möglich, hier die ganze Diskussion zu den verschiedenen Ansätzen zusammenzufassen. Wissenschaftliche und kulturelle Argumente lassen sich für die verschiedenen Vorgehensweisen finden. Dennoch muss man sich bewusst sein, dass jede Grenzziehung unabhängig von ihrem Zeitpunkt - ob sehr früh oder sehr spät - eine Entscheidung darstellt, die von der Gesellschaft getragen werden muss und die sich auf einen breiten Konsens abstützen sollte.

Ist es aus ethischer Sicht eine tragbare Lösung, das Klonen menschlicher Embryonen zu Fortpflanzungszwecken wie in England unter Strafe zu stellen und das Klonen von menschlichen Embryonen zur Erzeugung von Stammzellen zu erlauben?

Ja, da man in England zu dem Schluss gekommen ist, dass das sogenannte therapeutische Klonen eine wichtige Chance darstellt, um Stammzellen zu bekommen, die von dem Körper des Patienten nicht als fremd, sondern als eigen erkannt werden und so die Behandlung mit Immunsupressiva während einer Therapie unnötig machen. Diese Möglichkeit stuft man so ein, dass sie die Verwendung und Herstellung eines frühen Embryos, der zirka sieben Tage alt ist, rechtfertigt. Hingegen lehnt man das reproduktive Klonen ab, da man darin eine ungerechtfertigte Instrumentalisierung eines Menschen durch einen anderen Menschen sieht. Das ist aus meiner Sicht das Ergebnis eines ethischen Entscheidungsprozesses, das ich nachvollziehen kann - auch wenn ich die Haltung nicht befürworte.

Ist es eine Utopie, europaweit zu einem Konsens in Sachen Stammzellen zu kommen?

Noch scheint man von einem europaweiten Konsens weit entfernt. England hat als einziges europäisches Land eine konsequent permissive, gesetzliche Regelung bereits entwickelt. Es wird sich nun weisen, ob über einen längeren Zeitraum die anderen Länder sich dieser Lösung annähern werden, oder aber ob Länder wie die Schweiz und Deutschland, die über eine restriktive Gesetzgebung verfügen, diese so weiterentwickeln, dass sie den neuen Anforderungen gerecht wird und den bisherigen restriktiven Charakter behält.
Eine grundsätzliche Frage ist jedoch, ob überhaupt angestrebt werden sollte, zu einem europaweiten Konsens zu kommen. Jedes Land hat seinen eigenen kulturellen und wissenschaftlichen Hintergrund, aus dem heraus die Gesellschaft ihre Entscheidungen trifft. Nicht richtig finde ich grundsätzlich doppelbödige Lösungen in einem Land. Ein Land sollte sich klar entscheiden, ob es seine Regelung konsequent restriktiv oder konsequent permissiv gestaltet. Wie auch immer die Entscheidung ausfällt, so bleibt das Dilemma zwischen einer restriktiven nationalen Regelung und den internationalen Forschungs- und Wirtschaftsaktivitäten. Diese Situation führt dazu, dass Technologien in permissiveren Ländern weiterentwickelt werden und die Ergebnisse dieser Arbeiten indirekt oder direkt auch wieder Eingang in die Anwendungen neuer Technologien in den restriktiveren Ländern finden können.


Interview: Marion Morgner

Informationen zum Institut für Angewandte Ethik und Medizinethik: Das Institut wurde 2001 gegründet und wird von Prof. Dr. Stella Reiter-Theil geleitet.

Forschungsprojekt "Gewinnung und Anwendung von Humanen Stammzellen: wissenschaftliche und ethische Grundlagen", gefördert durch ein Marie Heim Vöglin-Stipendium des Schweizerischen Nationalfonds.


© Copyright Zentrum BATS: Kontakt Legal Advisor: Advokatur Prudentia-Law Veröffentlichungsdatum: 2002-01-17

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