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Das menschliche Genom: Ein Buch mit zu vielen Seiten?
Radek Skoda, Deutsches Krebsforschungszentrum, Heidelberg
Die gesamte Erbinformation des Menschen ist in einem Alphabet aus nur vier
Buchstaben verschlüsselt und besteht aus 23 fast unendlich langen Buchstabenfolgen,
die sich zu 23 Chromosomen zusammenfügen. Die chemische Substanz, die Träger
dieser Information ist, wurde in Basel von Friedrich Miescher vor mehr als 100
Jahren entdeckt und wird als Deoxynukleinsäure oder DNS bezeichnet. Die
Bausteine der DNS bilden die Buchstaben und die Gesamtzahl dieser Buchstaben
beträgt etwa 3 Milliarden, was für die meisten von uns eine schwer
vorstellbare Zahl darstellt. Das wären 6 Millionen Seiten mit je 5'000
Buchstaben pro Seite, oder 6'000 Bücher mit je 1'000 Seiten. Diese Menge
an Information, auch wenn noch mit vielen Lücken, wurde vor kurzem aus
den menschlichen Chromosomen extrahiert und als einer der grossen Durchbrüche
der Genomforschung gefeiert. Die Reihenfolge dieser 3 Milliarden Buchstaben
enthält die Information, die notwendig, aber wahrscheinlich nicht ausreichend
ist, um einen Menschen zu formen. Schon vor vielen Jahrzehnten wurde der genetische
Kode entschlüsselt, der uns erlaubt aus der Buchstabenfolge Wörter
zu bilden und wir wissen, dass immer drei Buchstaben ein Wort bedeuten, das
aus der DNS Sprache in die Sprache der Eiweisse übersetzt wird.
Wir wissen auch, dass dies über einen Zwischenschritt mittels von kurzen
Boten RNA (auch mRNA genannt) erfolgt. Das Umschreiben von DNA-Abschnitten in
mRNA wird als Transkription bezeichnet und ein Gen wird definiert als der DNS-Abschnitt,
der für eine solche RNA kodiert. Dieser Vorgang der Transkription ist in
jedem Gewebe anders reguliert und ermöglicht, dass im Hirn andere Eiweisse
synthetisiert werden als z.B. im Herzmuskel. Die Information, welche Gene in
welchen Geweben exprimiert werden sollen, ist auch in der Buchstabenfolge enthalten.
Allerdings verstehen wir diese Sprache erst in den Ansätzen. Eine weitere
Ebene der Komplexität entsteht dadurch, dass die meisten Gene unterbrochen
sind durch eingeschobene Buchstabenfolgen, sogenannte Introns, die keinen Sinn
für die Eiweissynthese machen und zuerst durch einen Vorgang, der "Splicing"
genannt wird, herausgeschnitten werden müssen. Dabei gibt es bei vielen
Genen verschiedene Varianten, wie dies geschehen kann, mit dem Ergebnis, dass
aus einem Gen mehrere z.T. auch funktionell verschiedene Genprodukte (=Eiweisse)
entstehen können. Wir wissen noch sehr wenig darüber, wie dieser Vorgang,
der auch differentielles Splicing bezeichnet wird gesteuert wird. Wir vermuten
aber, dass auch hierzu die Information in der Buchstabenfolge der differentiell
geschnittenen Genabschnitte liegt, geschrieben in einem Kode, den wir noch nicht
verstehen.
Aus diesen Beispielen ist schon ersichtlich, dass mit dem Ablesen der Buchstabenfolge
der menschlichen DNS das menschliche Genom noch lange nicht entschlüsselt
ist. Viele zusätzliche Ebenen bleiben noch wenig verstanden, z.B. das Zusammenwirken
von DNS und Proteinen zu Chromatin, die Veränderungen des Genoms durch
Methylierungen und andere Modifikationen. Noch wesentlicher aber ist, dass die
Funktion der meisten Genprodukte, der Eiweisse, noch unbekannt ist. Das menschliche
Genom wird noch lange ein Buch mit zu vielen Seiten bleiben. Die Kenntnis der
Buchtabenfolge bietet aber eine Vielzahl von Möglichkeiten, die komplexeren
Zusammenhänge der Funktionsweise des menschlichen Genoms zu erforschen.
Trotz unseres beschränkten Wissens sind aber heute schon viele Anwendungen
möglich, die Hoffnung aber auch Verunsicherung erzeugen. Diese Fragen und
Probleme werden Gegenstand des Symposiums sein.
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